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Ausstellung Paul Seawright
BEASTS OF BURDEN / THINGS LEFT UNSAID
1. Dezember 2020 bis 31. Januar 2021
Paul Seawright (*1965 in Belfast, wo er lebt und arbeitet) gehört zu den international renommiertesten Fotokünstlern Nordirlands. Vor mehr als drei Jahrzehnten begann er damit, seine vom Bürgerkrieg gezeichnete Heimat als umkämpften Raum fotografisch zu erkunden.
Die Arbeitsweise von Paul Seawright ist auf den ersten Blick dokumentarisch und klar. Dennoch entziehen sich seine zumeist in Serien angelegten Fotoprojekte einer schnellen Lesbarkeit. Sie richten den Blick auf Details, den Kontext oder auch auf Nebenschauplätze von gesellschaftlichen oder politischen Realitäten, längst über Nordirland hinaus, deren öffentliche Wahrnehmung normalerweise von einer stark am Ereignis orientierten Berichterstattung bestimmt ist.
Paul Seawrights Motive erzeugen eine besondere Spannung. Die Fotografie, ein der Konvention nach unbedingt dem Sichtbaren verbundenes Medium, wird in ihrer ganzen Präzision der authentischen Wiedergabe eingesetzt. Gleichzeitig gelingt es dem Fotografen jedoch, die Aufmerksamkeit jeweils auch auf etwas zu lenken, das unsichtbar bleibt. So spürt er konsequent in der Wirklichkeit seiner Bilder jenen blinden Flecken nach, die durch Gewalt, Konflikte und Ausgrenzung in unserem Bewusstsein erzeugt werden.
In der Städtischen Galerie Nordhorn stellt er zwei formal sehr unterschiedliche Serien einander gegenüber, in denen sich jedoch zwei wesentliche Aspekte einer selektiven medialen Wahrnehmung von Kriegsschauplätzen auf künstlerische Weise begegnen.
Die Serie »Things Left Unsaid« (2014) zeigt die eigentlich verborgene interne Landschaft eines Nachrichtenstudios im US-Fernsehen, einen Ort, wo für eine große Zahl von Menschen Wirklichkeit konstruiert wird. Inspiriert von den Theorien über elektronische Kriegsführung und Massenkommunikation als Waffe, vor allem durch den französischen Philosophen Paul Virilio, zeigt Seawright in seinen Fotografien Fragmente von Räumen, in denen Informationen durch Auswahl in Nachrichten umgewandelt und verbreitet werden.
Mit seiner aktuellen Serie »Beasts of Burden« (2020) wendet er sich einem in der öffentlichen Aufmerksamkeit wenig präsenten Aspekt in der Geschichte des Genozids in Ruanda zu, der 1994 für weltweites Entsetzen sorgte. Damals töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit in rund 100 Tagen bis zu eine Million Menschen der Tutsi-Minderheit. Seitdem durchlebt das Land einen mühsamen und schmerzvollen Prozess der Versöhnung zwischen den Menschen der beiden ethnischen Gruppen, die bis heute teils in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander leben. Eines der Projekte, die im kleinsten nachbarschaftlichen Kontext arbeiten, besteht in der gemeinsamen Aufzucht einer Kuh durch zwei Menschen oder Familien jeweils aus der Gruppe der Opfer und der Täter. Paul Seawrights Porträts von Mensch und Tier lenken den Blick auf eine höchst archaische Form gemeinsamen Handelns, die in einem irritierenden Kontrast zu der hochtechnisierten Medienwelt und Kommunikation industrialisierter Gesellschaften zu stehen scheint.